Eine Arbeitsgemeinschaft des Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V.

Genossenschaften im Solawi-Kontext

Solidarische Landwirtschaft - genossenschaftlich gedacht

Für die unterschiedlichen Typen und Organisationsformen der Solidarischen Landwirtschaft stellt sich mit der Gründung auch immer die Frage der passenden Rechtsform. In der gelebten Solawi-Praxis lassen sich verschiedene Rechtsformen nutzen: Einzelunternehmen, eingetragene Vereine, Genossenschaften, aber auch Kombinationen von Rechtsformen (z.B. KG und Verein, Genossenschaft und GmbH oder Genossenschaft und gemeinnütziger Verein). Dabei scheint keine der zur Verfügung stehenden Rechtsformen, bzw. Rechtsform-Kombinationen rundum “perfekt”. Insbesondere wegen der hohen, transformativen Ansprüche, die eine Solawi in der Regel an sich und ihre Wirtschaftsweise stellt, müssen im Hinblick auf die Rechtsform-Hülle auch immer Kompromisse eingegangen werden.

Die Genossenschaft als Organisationsform bietet grundsätzlich gute Rahmenbedingungen und Grundpfeiler, die für einen Solawi-Betrieb geeignet sind. Denn die Grundprinzipien der Genossenschaft und die der Solidarischen Landwirtschaft teilen eine sehr große Schnittmenge, was sich u.a. darin ausdrückt, dass der gemeinschaftsgetragene Betrieb mit und für Mitglieder im Fokus steht sowie dabei Gewinnmaximierung vermieden werden soll. Mit einer Genossenschaft werden aus ehemaligen Lebensmittel-Konsument:innen tatsächlich Miteigentümer:innen der Solawi, die die Finanzierung und das Ernterisiko mittragen und gleichberechtigt an der Ausgestaltung des Solawi-Betriebes mitbeteiligt sind.

Identitätsprinzip: Solawis als Prosumenten-Genossenschaften

Das Identitätsprinzip ist eines von mehreren genossenschaftlichen Prinzipien. Es besagt, dass sich Gruppen, die sich normalerweise auf einem Markt gegenüberstehen (z.B. Erzeuger:innen und Verbraucher:innen) vereinen und damit ihre „einseitige Rolle” und das Marktprinzip zugunsten von Selbstverwaltung aufgeben. Es entstehen Mehrfachbeziehungen.

So können Solawi-Genossenschaften oft als Prosument:innen-Genossenschaften bezeichnet werden. Das Wort “Prosument:in” setzt sich dabei aus den beiden Begriffen „Produzent:in“ und „Konsument:in“ zusammen. Als “selbsterzeugende Verbraucher:innen” sind die Mitglieder von Prosument:innen-Genossenschaften zeitgleich

  • die Miteigentümer:innen des gemeinschaftlichen Solawi-Geschäftsbetriebs
  • die Kapitalgeber:innen durch das Einbringen von Geschäftsguthaben
  • die Produzent:innen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und zusätzlicher genossenschaftlicher Wertschöpfung
  • und die Nutzer- bzw. Konsument:innen der genossenschaftlichen Leistungen.

Das bedeutet, dass Solawi-Genossenschaften so organisiert sind, dass die Solawi-Mitglieder ihren Ernteanteil nur als Mitglieder der Genossenschaft erhalten.

Alternative: die Genossenschaft als Partnerin der Solawi

Es gibt aber auch Genossenschaften in der Solidarischen Landwirtschaft, deren Kernaufgaben in der reinen Produktion und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder der Klärung von Eigentumsfragen liegen, anstatt der genossenschaftlichen Selbstversorgung der Mitglieder.

Beispiele:

  • Acker-Kratzdistel eG
    Diese junge Genossenschaft richtet sich mit ihrer kleinen Anzahl an ordentlichen Mitgliedern („denen, die auf dem Hof leben und arbeiten”) auf den Aufbau und Besitz des landwirtschaftlichen Betriebes und wird dabei von investierenden Mitgliedern unterstützt. Die Ernteanteile der Solawi werden dabei unabhängig von der Mitgliedschaft in der Genossenschaft an alle Interessierte vergeben.

  • BioAnbau Oberhavel eG
    Dieser Genossenschaft geht es um die Förderung von Menschen mit Behinderungen durch das Schaffen von Produktions- und Anbaustätten für ökologisch erzeugte Nahrungsmittel. Auch hier werden die Ernteanteile der Solawi unabhängig von der Mitgliedschaft in der Genossenschaft vergeben.

Wann ist die Rechtsform Genossenschaft im Solawi-Kontext geeignet?

Nach 10 Jahren exponentiellem Wachstum von Solawi-Gründungen und wertvollen Erfahrungswerten, wird die Bewegung spürbar ambitionierter und möchte auch größer gedachte Solawi-Geschäftsbetriebe gemeinschaftsgetragen aufbauen. Hier wird immer öfter die Genossenschaft als Rechtsform erwogen:

  • Die Genossenschaft als Rechtsform ist geeignet, wenn viele Menschen relativ gleichberechtigt und gemeinschaftlich wirtschaftlich tätig werden wollen, haftungsbegrenzt und mit unkompliziertem Ein- und Austritt.
  • Das Kapital für die Gründung der Genossenschaft und anstehende Investitionen kommt meist kurzfristig über ausreichend viele kleinere Finanzierungsanteile der Mitglieder zusammen.
  • Im Feld der kapitalintensiven Landwirtschaft wird die Genossenschaft für Solawis insbesondere dort relevant, wo es um einen Aufbau eines vergleichsweise großen, wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs geht und dabei Investitionen in Grund und Boden, Gebäude oder Maschinen in nennenswertem Umfang vorgesehen sind.
  • Viele Solawi-Genossenschaften haben auch hohe politische Anforderungen. Genossenschaftlicher Landkauf kann als ein zivilgesellschaftlicher Lösungsansatz verstanden werden, um die Folgen von politischen Entscheidungen, die ausschließlich kapitalistischen Maximen folgen, abzumildern. In Genossenschaften wird Grund und Boden zu einem Gemeingut und damit dem Markt als Spekulationsobjekt entzogen.

Herausforderungen der Rechtsform

Doch es gibt auch einige nennenswerte Grenzen und Herausforderungen, die die geschichtsträchtige, genossenschaftliche Rechtsform der aktuellen alternativ-ökonomischen Solawi-Bewegung in Deutschland setzt:

  • Kritiker:innen halten der Genossenschaft vor, nach rund 140 Jahren nicht mehr die Rechtsform zu sein, als die sie einst konzipiert wurde. Durch zahlreiche Änderungen des Genossenschaftsrechts ist ein Rechtsrahmen entstanden, der für Banken und für große Agrar- und Nahrungsmittelkonzerne im kapitalistischen Wettbewerb oftmals geeigneter erscheint, als für Menschen, die “bottom-up” ihre Kräfte bündeln und sich eigene, selbstverwaltete wirtschaftliche Möglichkeiten verschaffen möchten. 
  • Solawi-Genossenschaften schaffen es in der Regel gut, die gesetzlichen Vorgaben der genossenschaftlichen Rechtsform zu erfüllen. Doch das Genossenschaftsgesetz engt die emanzipatorischen Handlungsspielräume von Solawis auch ein und schwächt eine kollektive Willensbildung der Solawi-Mitglieder eher, anstatt diese zu stärken.
  • Zudem können die vergleichsweise höheren Kosten der Rechtsform, sowie ein gesteigerter Struktur- und Gremienaufwand eine Herausforderung darstellen, insbesondere für junge und kleinere Solawi-Genossenschaften, die auf viel ehrenamtliches Engagement angewiesen sind.

Im Angesicht der multiplen Krisen wird der Bedarf an zivilgesellschaftlichem Engagement in Form von Genossenschaften weiter wachsen. Seit 2019 ist ein Wachstum von 9 Solawi-Genossenschaften auf über 25 Genossenschaften zu verzeichnen. Und mehrere weitere Initiativen befinden sich aktuell in Gründung.

Herangehensweisen & Gründungsstrategien

Gründer:innen-Podcast

Auf dieser Homepage lassen sich zahlreiche Porträts und Steckbriefe zu verschiedenen genossenschaftlichen Solawis sowie ausführliche Interviews mit den Gründer:innen der Genossenschaften finden. Wer überlegt, eine Solawi zu gründen oder die Rechtsform umzuwandeln und auf der Suche nach einer geeigneten Rechtsform ist, findet dort viele wertvolle Anregungen und Hinweise aus der gelebten Praxis.

Die Interviews mit den Gründer:innen gibt es auf youtube und der Videoplattform Peer-Tube und außerdem im Solawi-Podcast. Er ist unter anderem bei Spotify, Apple Podcasts oder über den RSS-Feed in der Podcast-App Eures Vertrauens zu finden.

Hier entlang zum Episoden-Guide:

Impulse zur Gründung einer Solawi(-Genossenschaft)

Eine Solawi zu gründen ist ein äußerst anspruchsvolles Unterfangen und immer von den regionalen Gegebenheiten vor Ort und von den persönlichen Ressourcen und Kapazitäten der Beteiligten abhängig. Während der letzten Jahre wurden ein paar sehr spannende Gründungsgeschichten geschrieben, die zu erfolgreichen Gründungen genossenschaftlich organisierter Solawis geführt haben. Um einen Eindruck davon zu vermitteln, haben wir ein paar Beispiele zusammengestellt, die eine große Vielfalt an verschiedenen Ausgangssituationen und deren Entwicklungsgeschichten skizzieren:

Solawi-Genossenschaften erfolgreich gründen

Basierend auf den Erfahrungen der vergangenen Jahre hat die AG Genossenschaften in Kooperation mit zahlreichen Expert:innen wichtige Hinweise zur erfolgreichen Gründung von Solawi-Genossenschaften zusammengetragen. Die Informationen sollen helfen, ein tieferes Verständnis von den verschiedenen Chancen und Herausforderungen der genossenschaftlichen Rechtsform im Kontext der Solidarischen Landwirtschaft zu gewinnen und dazu beitragen, dass Fehler vermieden werden und Solawis zeitnah zu ihrer Gründung eine nachhaltige soziale und betriebswirtschaftliche Stabilisierung finden.

Die folgende Handreichung, wie auch das Expert:innengespräch sind in Zusammenarbeit mit der innova eG entstanden. Die innova eG wird als eine der erfolgreichsten und ältesten professionellen Unterstützungsorganisation für alternative Genossenschaftsmodelle außerhalb der Genossenschaftsverbände wahrgenommen. Die AG Genossenschaften und die innova eG veranstalten seit 2019 regelmäßig gemeinsame Gründungsseminare für Solawi-Genossenschaften.

Burghard Flieger ist Dauergründer von Genossenschaften und einer der wichtigsten Genossenschaftsexperten Deutschlands, insbesondere für alternative Genossenschaftsmodelle. Er ist Gründer der innova eG und Kenner der Solawi-Szene. In diesem ausführlichen Gespräch zur erfolgreichen Gründung von Solawi-Genossenschaften stellt er sich den Fragen von Christine Hubenthal. Sie studierte Organisationsentwicklung, ist ausgebildete Landwirtin und war mehrere Jahre im Vorstand der Solawi-Genossenschaft Rote Beete eG.

Zusätzliche Informationsquellen

Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. stellt zu dem Thema Solawi-Gründung und Rechtsformwahl noch weitere wertvolle Dokumente zur Verfügung:

  • Im Handbuch-Solidarische-Landwirtschaft-v1.1 befasst sich das Kapitel 5.2 aus wissenschaftlicher Perspektive mit den Gründungsimpulsen und -motivation von Solawis.
  • Handreichung: Verein

Für Neugründung einer Typ-3-Solawi „auf der grünen Wiese” mit einer Startgröße ab 6,6 ha Fläche und ca. 500 Solawi-Mitgliedern ist das Handbuch des gemeinnützigen WirGarten e.V. empfehlenswert. Es enthält sehr vielgut strukturiertes Wissen, umfassende Praxis-Informationen sowie Kennzahlen zum Aufbau einer Gemüse-Solawi bereit. Das WirGarten-Konzept fokussiert sich dabei auf eine Umsetzung in der Rechtsform der Genossenschaft.

Kommentierte Mustersatzung für Solawi-Genossenschaften

Mit ihrer Satzung legt eine Genossenschaft ihre Ziele und Zwecke, ihre Organisationsstruktur, die Kompetenzen ihrer Organe und die Stellung ihrer Mitglieder fest. Sie ist das zentrale Dokument jeder Gründung und stellt die rechtliche Basis für die Aufnahme ihrer Mitglieder dar. Dabei sollten die verschiedenen Gestaltungsspielräume des Genossenschaftsgesetzes sinnvoll genutzt werden.

Doch wie gestaltet man eine Satzung, wenn wichtiges Erfahrungswissen noch fehlt? Allgemein gehaltene Mustersatzungen gibt es im Internet und bei den Prüfverbänden reichlich. Neuen, partizipativen und innovativen Konzepten, wie dem der Solidarischen Landwirtschaft, entsprechen diese Mustersatzungen in aller Regel aber nicht.

Anhand unserer beispielhaften und kommentierten Mustersatzung (wird Ende April 2023 veröffentlicht) soll aufgezeigt werden, wie die Grundprinzipien der Solidarischen Landwirtschaft und des gemeinschaftsgetragenen Wirtschaftens in einer genossenschaftlichen Satzung ausgestaltet werden können.

Mustersatzung Solawi Genossenschaft

–> bei Interesse bitte Mail an:
simon@solawi-genossenschaften.net

Die AG Genossenschaften hat diese Mustersatzung aus den Gründungsprozessen verschiedener Solawi-Genossenschaften heraus entwickelt, und in enger Zusammenarbeit mit der innova eG abgestimmt. Außerdem haben weitere wichtige Transformationsakteure der gemeinschaftsgetragenen Bewegung beigetragen, ein möglichst differenziertes Bild der Genossenschaft als Rechtsform im Kontext der Solidarischen Landwirtschaft zu zeichnen, um den hohen transformativen Ansprüchen der Bewegung gerecht zu werden.

IN VORBEREITUNG
In bearbeitbaren Dokumenten sollen künftig auch Kommentare hinterlassen oder Ergänzungen und Änderungen vorgeschlagen werden können. In regelmäßigen Abständen ist dann die Bearbeitung und Veröffentlichung von aktualisierten Versionen der kommentierten Mustersatzung vorgesehen. Im besten Fall werden diese Dokumente zu „lebendigen“ Dokumenten, in welche kontinuierlich neue Entwicklungen und Tendenzen aus der Bewegung genossenschaftlich organisierter Solawis einfließen. Gründungsinitiativen, die einzelne Paragraphen für sich anders gestalten und mit ihren Berater:innen und Prüfverbänden abgestimmt haben, sollen diese bitte mit Erläuterungen an die AG Genossenschaften zurückspielen (
info@solawi-genossenschaften.net), so dass diese ggf. aufgenommen werden können.

Solidarische Landwirtschaft gegen Rechts

Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. ist partei- und konfessionsunabhängig und versteht sich als Zusammenschluss von Menschen, die sich dem Gedanken des Humanismus, der Völkerverständigung und den Allgemeinen Menschenrechten verbunden fühlen.

Es duldet daher in diesen Zusammenhängen keine rassistischen, fremdenfeindlichen und andere diskriminierenden oder menschenverachtenden Bestrebungen. Dem widersprechende Handlungen, sowie ein Engagement in Parteien und Organisationen, die zu diesen Zielen im Widerspruch stehen, sind mit einer Mitgliedschaft im Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. nicht vereinbar.

Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. distanziert sich daher ausdrücklich von rechten Initiativen und Vereinen, die im Umfeld von Landwirtschaft tätig sind.

Diese Position ist in der Satzung des Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. verankert.

Weiterführende Informationen findest du auf unserer Seite Rechte Tendenzen.

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