Organisation und Entwicklung

Organisationsentwicklung in Solawis

Eigenschaften, die die meisten Solawis gemeinsam haben, sind ein hohes Maß an Mitglieder-Teilhabe und Selbstorganisation. Diese sind vielfältig gestaltbar, bringen aber auch Herausforderungen mit sich. Die gemeinschaftsgetragene Organisationsform der Solidarischen Landwirtschaft erfordert die Entwicklung angepasster Organisationsstrukturen. Um Neues zu entwickeln, hat es sich bewährt, eine Solawi als lernende Organisation zu verstehen. Dabei geht es darum,

  • einerseits eine interessierte Haltung gegenüber Erfahrungen einzunehmen, die in anderen Bereichen gesammelt werden
  • und andererseits den eigenen Praktiken gegenüber stets reflektierend und fragend gegenüber zu stehen, Bewährtes zu pflegen und Behinderndes zu verwerfen.

Mit diesem Bewusstsein lassen sich Prozesse der Organisationsentwicklung aktiv gestalten. Beispielsweise ist die Entwicklung und Pflege eines Solawi-Leitbildes ein wichtiger Prozess einer wirkungsvollen Organisationsentwicklung. Denn geteilte Visionen, Strategien und Ziele brauchen einen festen Platz im operativen Arbeitsablauf. Außerdem erweist sich die dynamische Steuerung der Organisation (auch Agilität genannt) als hilfreich. Dies bedeutet im Kontext der Solidarischen Landwirtschaft, durch gemeinschaftlich getragene Lern- und Veränderungsprozesse eine kontinuierliche (Weiter-)Entwicklung der Solawi auf operativer, strategischer und kultureller Ebene. Die sog. Muster des Commoning versuchen diese Prozesse des bewussten Gestaltens von Selbstorganisation, selbstbestimmtem Wirtschaftens und sozialen Beziehungen näher zu beschreiben.

Teilhabe & Koproduktion von Mitgliedern

Motive für eine Mitgliedschaft in einer Solawi

In der Solidarischen Landwirtschaft geht es neben einer zukunftsfähigen landwirtschaftlichen Wertschöpfung auch immer darum, dass sich Menschen wieder stärker untereinander und mit ihrem lokalen und regionalen Umfeld verbinden wollen. Dabei ist Solidarische Landwirtschaft für manche erst einmal nur eine regionale Bio-Gemüsekiste. Andere sehen in ihrer Mitgliedschaft einen zivilgesellschaftlichen Beitrag und wieder andere eine konkrete politische Aktion für den Aufbruch in eine gemeinschaftsgetragene, postwachstumsorientierte Wirtschaftsweise, die Antworten auf mögliche Versorgungsengpässe der Zukunft liefert. Konkret lassen sich folgende Motive von Menschen für eine Mitgliedschaft in einer Solawi identifizieren:

  • Persönliches Interesse an gesunder Ernährung durch frische, schmackhafte Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft
  • Aktiver Klima- und Umweltschutz durch kurze Transportwege, Verzicht auf Pestizide und Kunstdünger, weniger Lebensmittelverschwendung
  • Unterstützung lokaler, klein strukturierter Landwirtschaftsbetriebe als Gegenmodell zur seelenlosen Agrarindustrie mit ihren Folgen
  • Soziale und wirtschaftliche Zugehörigkeit zu einer transparenten, vertrauens- und verantwortungsvollen Solidargemeinschaft
  • Aufbau einer selbstverwalteten, gerechten und zukunftsfähigen Versorgungsstruktur, die dem großen Höfesterben entgegenwirkt und eine nachhaltige Unabhängigkeit von ausbeuterischen Markt- und Machtstrukturen schafft

So finden in Solawis verschiedene Menschen zueinander, die auf Basis ähnlicher Ziele und Werte einen gemeinsamen Antrieb teilen. Doch eine gemeinsame Kultur des Miteinanders kann dabei weder vorausgesetzt, noch von einem Tag auf den anderen Tag installiert werden. Um sich in Vielfalt gemeinsam auszurichten, braucht es vieles: Zeit und Kontinuität, gelungene Kommunikation, klare Strukturen, abgestimmte Prozesse und Möglichkeiten zur Teilhabe und Mitgestaltung. Angesichts der Solawi-Grundidee eines gerechten, sozialen und nachhaltigen Miteinanders “auf Augenhöhe”, sollten diese Punkte in jeder Solawi hohe Beachtung finden, sowie gut durchdacht und organisiert werden.

Vielfältige Möglichkeiten der Teilhabe in Solawis

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Mitglieder in die landwirtschaftlichen Abläufe und die Organisationsentwicklung der Solawi einzubinden. Oft wird unter “Teilhabe” in Solawis nur das sog. “Mitgärtnern” verstanden, gerne auch “Feldaktionen” oder “Ackertage” genannt. Doch es existieren noch viele weitere Mitmach-Möglichkeiten in fast allen Bereichen des Solawi-Betriebes, die oft nur darauf warten, aktiviert zu werden.

Dabei gilt: Jede Solawi ist einzigartig, hat ihre Besonderheiten und nicht alles macht für jede Solawi Sinn. Die hier beschriebenen Partizipationsmöglichkeiten sollen das Möglichkeitsspektrum für die vielen Formen des Mitmachens veranschaulichen: LINK (work in progress, geplante Veröffentlichung im April 2023)

Ihr habt in eurer Solawi noch weitere Partizipationsformate, die ihr teilen möchtet? Dann schreibt uns unter info@solawi-genossenschaften.net 

Leitbildprozesse in Solawis

Warum geteilte Leitbilder wichtig sind

Wofür steht die eigene Solawi eigentlich und wofür soll sie in Zukunft einstehen? Ein Solawi-Leitbild ist wichtig, weil die Motivation der Menschen für eine Beteiligung in einer Solawi oft sehr unterschiedlich ist. Ein Leitbild hilft einer Solawi bei ihrer langfristigen Planung und strategischen Ausrichtung und gibt einen Rahmen für das alltägliche Handeln vor. Es bildet den kollektiven Willen der Solawi-Mitglieder ab und setzt Grenzen und Leitplanken, die hilfreich sind, um auf dem Weg ihrer gemeinschaftlich gewünschten Zukunft zu bleiben.

Die Solidarische Landwirtschaft bringt immer verschiedene Denkweisen zusammen und sucht gleichzeitig eine hohe Anschlussfähigkeit an eine breite, plurale Gesellschaft. Damit dieser Pluralismus aber nicht beliebig bleibt, oder Gefahr läuft unterwandert zu werden, helfen bewusst gestaltete Leitbilder sich “gemeinsam in Vielfalt auszurichten”. Denn eine gemeinschaftlich getragene Organisation, wie eine Solawi, muss sich auch immer wieder gegen unterschiedliche Einhegungen- und Vereinnahmungsformen behaupten.

Außen grün - innen braun? Einflußnahme und Vereinnahmung

Leider werden bestimmte Themen der Solidarischen Landwirtschaft zunehmend „von rechts“ besetzt. Es häufen sich Berichte aus Solawi-Organisationen, die sich vor größerer Einflussnahme stark parteipolitisch motivierter Menschen (z.B. aus der AfD) oder der sog. “Reichsbürger”-Szene erwehren müssen (z.B. durch Wahl in Leitungsgremien der Solawi). Immer häufiger wollen auch Menschen, die diskriminierende, rassistische und antisemitische Ideologien vertreten, Solawis gründen bzw. Mitglieder einer Solawi werden und mitgestalten. Der Vollständigkeit halber: In einem Einzelfall wurde aber auch schon von einer verdeckten Unterwanderung einer Solawi durch eine “trotzkistische Vereinigung” berichtet, also „von links“.

Um Konflikte innerhalb einer Solawi vorzubeugen, die aus derartigen Situationen entstehen, hilft es, eine klare Positionierung gegen menschenverachtendes, demokratiefeindliches Verhalten, sowie jedweder Art von Diskriminierung, Rassismus und (neu)rechten Ideologien zu finden.
Auch wenn es kein angenehmes Thema ist, macht es Sinn, sich vorbereitende Gedanken zu machen. Die Entwicklung und Verschriftlichung eines Solawi-Selbstverständnisses kann den Umgang mit solchen Konflikten erleichtern. Mit erfolgreicher Vermittlung dieses Verständnisses gegenüber neuen Interessent:innen der Solawi werden auch leichter Mitglieder gefunden, die die gleichen Werte teilen und damit gut zur bestehenden Gemeinschaft passen.

SOLAWIS SIND BUNT! Hier der Flyer des AK Gegen Rechts (ehem. AG Rechte Tendenzen) zum Anschauen, Ausdrucken und Weiterverteilen! Bei Fragen, Vorkommnissen oder Informationen kann der  AK Gegen Rechts gerne kontaktiert werden: gegen-rechts@solidarische-landwirtschaft.org

Wie Leitbilder zum Einsatz kommen können

Gründungsphase

Es ist empfehlenswert, bereits zu Beginn der Gründungsphase einer Solawi eine erste politische Positionierung zu verfassen. Das Kernteam sollte sich dabei auf gemeinsame Werte und Prinzipien verständigen und diese auch allen hinzukommenden Mitstreiter:innen zur Verfügung stellen.
Eine Solawi-Kerngruppe sollte dabei auf ideologische Überbauten (weltanschaulich, wissenschaftlich, parteipolitisch) bewusst verzichten und diese gezielt “draußen” halten. Solawis, die sich als nicht-konfessionelle und parteipolitisch ungebundene Organisationen verstehen und klar gegenüber menschenverachtenden, diskriminierenden Verhalten abgrenzen, gelingt es in der Regel gut, entsprechende Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen.

Solawi-Satzung

In einer Vereins- oder Genossenschaftssatzung bietet die Präambel Raum für Werte und Prinzipien, die der künftigen Gestaltung der Solawi zugrunde liegen. Hier ist Platz, z.B. für Selbstverständnis- und Absichtserklärungen, Verweise auf die eigene “Governance”, aber auch klare Antirassismus-Bekenntnisse; alles Punkte, die ggf. nicht immer vollständig in rechtsverbindlichen Regelungen abgebildet werden können. Rechtsverbindlich wird es erst mit einem Paragrafen im Satzungstext, der beschreibt, welche Wertekriterien für die Aufnahmefähigkeit bzw. auch den Ausschluss von Mitgliedern sprechen können:

(§-Beispiel) Die Solawi bekennt sich zu den Grundsätzen der Menschenrechte. Ihre Mitglieder treten rassistischen und verfassungsfeindlichen Bestrebungen sowie diskriminierenden und menschenverachtenden Verhaltensweisen gegenüber anderen Menschen, insbesondere auf Grund ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religion, Geschlechtsidentität, sexuellen Orientierung, Körperformen und/oder Behinderung, aktiv entgegen. Dem widersprechende Handlungen, sowie ein Engagement in Parteien und Organisationen, die dazu im Widerspruch stehen, sind mit einer Mitgliedschaft nicht vereinbar.

Werte-Leitbild und Selbstverständnis

Mit der partizipativen Entwicklung eines geteilten Werte-Leitbilds und Selbstverständnisses aller Solawi-Aktiven und wichtigen Anspruchsgruppen werden die Leitplanken einer Solawi festgelegt und allen aktiv Handelnden und Mitgliedern der Unternehmung Orientierung, Identität und bestenfalls Motivation geboten langfristig aktiv beizutragen. Dabei stellt sich immer auch die Frage, wie ein Leitbild wirklich handlungsleitend und im Alltag erfahrbar wird. In diesem Sinne gilt es, bewusst und gemeinschaftlich über die konkrete Übersetzung der Werte und Prinzipien nachzudenken, sowie praktische Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.

Ein “großes” Solawi-Leitbild zu erarbeiten und zu pflegen ist ein größerer und kontinuierlicher Prozess, für den ausreichend Zeit und ggf. auch finanzielle Ressourcen vorgesehen werden sollten. Schlussendlich sollte ein feststehendes Leitbild auch nach außen hin klar sichtbar sein und gut kommuniziert werden. Beispiel: Die große Münchner Solawi-Genossenschaft Kartoffelkombinat eG hat 2019/2020 seine (zu dem Zeitpunkt) über 2000 Mitglieder eingeladen, in einem einjährigen Prozess das genossenschaftliche Werteleitbild aus den Anfangsjahren zu aktualisieren. Im Rahmen von mehreren, moderierten Tagesveranstaltungen wurden Räume für inspirierenden Austausch, aber auch kontroverse Diskussionen geschaffen. Die so gewonnenen Werte, Zukunftsbilder und Startegievorstellungen wurden anschließend von einem gewählten Redaktionsteam, unter Einbezug der Mitglieder durch Feedbackschleifen, zu einem Werte-Leitbild zusammengeführt. Dabei ist auch eine ausführliche Dokumentation des Entstehungsprozesses durch die gemeinnützige Schwesterorganisation, dem Kartoffelkombinat – der Verein e.V. entstanden.

Selbstorganisation, Agilität und Soziokratie in Solawis

Selbstorganisation

Selbstorganisation in der Solidarischen Landwirtschaft wird meist in einer doppelten Wortbedeutung gebraucht und meint:

  • Selbstorganisation im Sinne von Selbsthilfe
    meint das Einbringen von Kapital, Arbeit, Kreativität, Kontakten und sonstigen Ressourcen aus sich selbst heraus zu organisieren und sich selbst zu helfen. Mitglieder-Teilhabe und -Partizipation führt dabei u.a. zu erhöhter, wirtschaftlicher Stabilität, da nicht alle Leistungen der Gruppe mit Geld abgegolten werden müssen. Hier liegt eine besondere Herausforderung in der Einbindung und Organisation gemeinschaftsdienlicher Beiträge.

  • Selbstorganisation im Sinne von Selbststeuerung
    nährt ein wichtiges Motiv, warum viele Menschen überhaupt Teil einer Solawi werden: gesellschaftliche Transformation. Viele Solawis neigen dazu, sich von althergebrachten Machthierarchien abzuwenden und Führung gleichwertig und auf Augenhöhe zu organisieren, was man Selbstführung oder Selbststeuerung nennt. Die Selbststeuerung eröffnet neue, spannende Fragen nach dem “wie”. Denn Hierarchie, das können wir. Aber ohne oder nur mit sehr flachen Hierarchien zu entscheiden, zu arbeiten und zu gestalten, muss und kann gelernt werden.

Agilität

“Agil” kommt von “beweglich”, es ist ein Begriff aus dem Management und meint dynamische Selbststeuerung. Agilität kann als Gegenmodell zur Linienorganisation mit Machthierarchien und statischen Planungsprozessen gesehen werden und ist gekennzeichnet durch iteratives, schrittweises Herangehen an Problemstellungen. Agile Arbeitsweisen befähigen Organisationen schnell, flexibel und anpassungsfähig auf sich verändernde Bedingungen zu reagieren und tragen damit zur Resilienz einer Organisation bei.

Viele Solawis bilden oft agile Organisationsmuster aus, ohne dass es ihnen wirklich bewusst ist. Sie probieren Neues aus, was oft automatisch zu einer iterativen Arbeitsweise führt, bei der immer wieder bemessen wird, wie gut eine Idee funktioniert. Der Anspruch, gleichberechtigt an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten, führt zur Selbstführung. Insgesamt aber ist die Organisationspraxis in den Solidarischen Landwirtschaften noch wenig untersucht und beschrieben worden.

Im agilen Management wird oft von einer sog. agilen Pyramide gesprochen.

  • diese besteht zu unterst aus den Werten
  • darüber stehen die Prinzipien
  • darüber kommen die agilen Frameworks (Rahmenstrukturen)
  • und an ihrer Spitze stehen die agilen Methoden

Sie ist u.a. hilfreich, um zu verstehen, wo sich z.B. die Soziokratie einordnen lässt.

Soziokratie

Innerhalb der Bewegung der Solidarischen Landwirtschaft verbreitet sich aktuell v.a. die Soziokratische Kreisorganisation als Framework und konkrete Struktur zur Entwicklung einer wirkungsvollen Solawi-(Selbst-)Organisation.

Der Begriff Soziokratie lässt sich vom lateinischen Wort für „socius (-a)” für “Gefährte/Gefährtin, Genosse/Genossin, Verbündeter/Verbündete” und vom griechischen Wort „-kratie” für “Macht, Herrschaft“ ableiten und möchte damit die Leitung und Kontrolle von Gleichgesinnten und Gleichrangigen beschreiben. Man könnte auch “Gemeinschaftsherrschaft“ sagen.

Soziokratie bietet dabei eine Art innovative Synthese aus Basisdemokratie und weisungsgebundenen Hierarchien und fußt auf vier Basisprinzipien:

1. Das Konsentprinzip:
Der Konsent regiert die Beschlussfassung. Das bedeutet, dass ein eingebrachter Beschlussantrag als angenommen gilt, wenn niemand einen schwerwiegenden begründeten Einwand im Hinblick auf das gemeinsame Ziel hat. 

Im Vergleich zum viel bekannteren “Konsens”, der darauf abzielt, die Zustimmung aller einzuholen, was nicht nur sehr zeitaufwendig, sondern auch manchmal unmöglich ist, erweitert der Konsent den Lösungsraum, in dem er die Hürde höher legt und nach den Gründen dagegen, also den Einwänden fragt. Gleichzeitig hat jede:r Einzelne die Möglichkeit eine Entscheidung zu stoppen, wenn daraus eine Gefahr für das gemeinsame Ziel erwächst. In dem klar strukturierten Prozess werden alle Mitglieder des Kreises gleichwertig angehört. Fragen werden der Reihe nach beantwortet, ebenso Meinungen und Einwände integriert und letztendlich gemeinsam beschlossen, wenn niemand mehr einen „schwerwiegenden Einwand” hat. Eine erfolgreiche Methode, mit dem Ziel, die Weisheiten der Gruppe einzubeziehen, und dass Entscheidungen von allen nachvollzogen und mitgetragen werden können. Auch wenn diese Methode stets einer guten Moderation bedarf und auf den ersten Blick aufwändig erscheinen mag, so profitieren alle Beteiligten doch von einer insgesamt höheren Geschwindigkeit und größeren Tragfähigkeit nach der Beschlussfassung.

2. Das Kreisprinzip:
Die soziokratische Kreisorganisation ist eine Alternative zur pyramidenförmigen Linienorganisation und zu deren Top-Down-Entscheidungspraktiken. Die Organisation ist entsprechend in Kreisen aufgebaut, wobei jeder Kreis semi-autonom ist.

Das bedeutet, dass seine Mitglieder bestimmte Aufgaben zur Verwirklichung des gemeinsamen Ziels der Organisation erfüllen und in diesem Bereich eigenverantwortlich entscheiden. Jedes Mitglied der Organisation hat einen Platz in seiner Kreisversammlung, von wo aus es Grundsatzentscheidungen der Gesamtorganisation beeinflussen kann. In einem soziokratischen Kreis teilen sich alle Kreismitglieder die Verantwortung. Jede:r leistet einen Teil der Führungsarbeit. Bestimmte Aspekte und Teilzuständigkeiten werden an einzelne Mitglieder übertragen bzw. Rollen definiert und Rolleninhaber:innen gewählt. Die Kreisorganisation einer Solawi könnte dabei beispielhaft aus folgenden Kreisen bestehen:

    1. Lenkungskreis (für die geschäftsführende Verantwortung)
    2. Kreis für Anbau, Kooperationen und Logistik (für die Versorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen)
    3. Kreis für Kommunikation (intern und extern), Community-Management und Veranstaltungen
    4. Kreis für Organisation (Mitgliederverwaltung, Finanzen und Genossenschaftswesen)
    5. AG-Kreis für transformativen Anspruch
    6. AG-Kreis für Naturschutzmaßnahmen

3. Die doppelte Kopplung:
Jeder Kreis ist mit dem nächsthöheren Kreis durch eine doppelte Kopplung verbunden. Das bedeutet, dass mindestens zwei Personen eines Kreises, und zwar die leitungsgebende Person und mindestens eine delegierte Person aus dem Kreis, dem nächsthöheren Kreis angehören.

In Linienorganisationen gibt es meist nur eine einfache Kopplung. Das heißt, dass Informationen leicht von oben nach unten fließen, jedoch nicht andersherum. Das führt dazu, dass oftmals die Führungskräfte zu wenig aus dem operativen Geschäft wissen, um hilfreiche Entscheidungen treffen zu können. Probleme auf unteren Führungsebenen oder im operativen Geschäft können nicht gelöst werden und es kommt zu Unzufriedenheit und Demotivation bei den Mitarbeiter:innen. Durch die doppelte Kopplung wird ein Informationsfluss in beide Richtungen gewährleistet und jedes Mitglied der Organisation hat die Möglichkeit und die Aufgabe, für das Funktionieren der Abläufe und für eine weise strategische Ausrichtung der Organisation zu sorgen.

4. Die offene Wahl:
Alle Rollen und Funktionen innerhalb eines Kreises werden in der Soziokratie von den Kreismitgliedern selbst vergeben.

Dabei wird zunächst die Aufgabe beschrieben, dann werden Personen für die Aufgabe vorgeschlagen. Die Vorschlagenden argumentieren, warum sie die betreffende Person für die Aufgabe geeignet halten. Nach einer zweiten Runde, in der jede:r die Möglichkeit hat, den eigenen Vorschlag noch einmal anzupassen, benennt die Moderatorin eine der vorgeschlagenen Personen und fragt, ob jemand einen schwerwiegenden Einwand hat, diese Person mit der Aufgabe zu betrauen.
“Ich werde von meinem Kreis beauftragt” erzeugt bei der gewählten Person ein Gefühl von Sicherheit und Unterstützung durch die anderen. Denn die vorgeschlagene Person kann natürlich auch ihre eigenen Bedenken vortragen, die Aufgabe gut erfüllen zu können. Wenn sie dann dennoch von der Gruppe ermutigt wird, besteht ein hohes Maß an Bereitschaft der Kolleg:innen ggf. Fehler mit zu tragen und Unterstützung zu geben, falls nötig. Denn die Person wurde von allen Vorhandenen als am geeignetsten für eine Rolle befunden. All das ist nicht gegeben, wenn man sich freiwillig für eine Aufgabe meldet, wenn die Chefin einen auswählt oder wenn es eine geheime Wahl gibt.

Implementierung von Soziokratie

Soziokratie kann, muss aber nicht von heute auf morgen und auch nicht in Bezug auf alle Organisationsbereiche angewendet werden. Es kann dort begonnen werden, wo der Bedarf am größten ist. Es gilt dabei v.a. auch die Größe der Organisation zu berücksichtigen: während die “doppelte Kopplung” in der großen Organisation durchaus Sinn macht, mag sie in einer kleinen Solawi, wo sich die Gleichen, wenigen Menschen auf mehrere unterschiedliche Kreise verteilen, überdimensioniert erscheinen. Erfahrungsgemäß ist es sehr hilfreich, wenn sich die aktiven Mitglieder der Organisation zu Beginn gemeinsam fortbilden und beraten lassen. Anschließend sollten sich dann mindestens eine bis zwei Personen weiterhin intensiv mit dem Thema befassen.

Soziokratie in Solawi-Genossenschaften

Verschiedene Solawi-Genossenschaften arbeiten derzeit an einer wirkungsvollen Verbindung von Genossenschaft und Soziokratie in ihren jeweiligen Organisationen. Wie im Dokument Hinweise zur erfolgreichen Gründung von Solawi-Genossenschaften  und dem Begleitdokument zur kommentierten Mustersatzung (wird Ende April 2023 veröffentlicht) beschrieben, kann diese Vermählung im Kontext der Solidarischen Landwirtschaft sehr sinnvoll sein, geht aber auch mit Herausforderungen einher.

Folgende beispielhafte Darstellung einer soziokratisch organisierten Solawi-Genossenschaft soll zeigen:

Genossenschaftsgesetz und Satzung geben unmissverständlich vor: „Der Vorstand leitet die Genossenschaft in eigener Verantwortung.” An seiner letztendlichen Gesamtverantwortung lässt sich nicht rütteln. Für eine soziokratische Organisationsstruktur hingegen, ist die Ebene der gelebten Solawi-Praxis und Geschäftsordnung bedeutend: In Geschäftsordnungen sollte hierfür beschrieben werden, wie sich das Vorstandsgremium quasi „selbst-regulierend” als Teil einer breiter aufgestellten, geteilten Geschäftsführung versteht und sich in den soziokratischen Lenkungskreis einreiht.

Soziokratie im Dachverband Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V.

Seit 2018 wurden auch im Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. verstärkt soziokratische Elemente eingeführt. Sie bilden für die Mitarbeiter:innen der Solawi-Dachorganisation seither eine ideale Grundlage mit der Komplexität umzugehen, die im Netzwerk durch eine kollegiale Geschäftsführung  sowie seine dezentrale Arbeitsstruktur und die eigenverantwortlichen Arbeitsweisen der Mitarbeiter:innen und ehrenamtlich Engagierten entsteht.

  • Hier eine gut strukturierte und übersichtliche Handreichung von Alina Reinartz (Soziokratieberaterin, Mitglied der geschäftsführenden Koordination und Vorständin im Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V.): Praxisleitfaden „Eine Solawi-Organisation gut entwickeln“  (Link – Work in Progress)

  • Im Online-WebinarEntscheidungsprozesse und Selbstorganisation in Solawis gestalten” gibt die Referentin Alina Reinartz einen spannenden Einblick auf Fragen nach einer guten verbindenden und effizienten Form der Entscheidungsfindung in Solawis.
    Gegen einen empfohlenen Beitrag von wenigen Euro kann die Aufzeichnung vom 16.02.2023 angeschaut werden:  solidarische-landwirtschaft.org/kurs/soziokratie

  • Soziokratie-Beratung für Solawis
    Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich zu Soziokratie gut begleiten und beraten zu lassen: seitens des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft e.V. stehen hier Alina Reinartz und Klaus Strüber gerne für Weiterbildungen und Implementierungen zur Seite. Der Dachverband selbst konnte auch wertvolle Erfahrungen mit dem Organisationsentwickler Martin Dehnke sammeln.

Möglichkeiten sich im Internet zu Soziokratie zu informieren (Beispiele)

Das Soziokratie Zentrum ist ein gemeinnütziger Verein, der die Handlungskompetenz von Menschen, die in partizipativ-demokratische Entscheidungsprozesse in Vereinen, Firmen und anderen Organisationen eingebunden sind, erhöhen und weiterentwickeln möchte.

Internetseite von Soziokratie 3.0 bietet einen Praxisleitfaden “zur Evolution agiler und resilienter Organisationen”. Soziokratie 3.0 versteht sich als eine Art Weiterentwicklung durch die Integration zusätzlicher Ideen und agiler Methoden wie Lean Thinking, Kanban, Core Protocols, gewaltfreie Kommunikation usw.

Die non-profit Mitgliederorganisation Sociocracy for All hat sich der Verbreitung von Soziokratie verschrieben, weil sie in ihr einen wichtigen Baustein für den gesellschaftlichen Wandel sieht. Ansässig in den USA haben sie Mitglieder auf der ganzen Welt und bieten eine Vielfalt an Ressourcen, Weiterbildung, Coachings und Beratung an, auch in verschiedenen Sprachen.

Die Muster des Commoning

Leitende Handlungsmuster in Solawis

Worauf es in Solawis auf zwischenmenschlicher Ebene immer ankommt, sind gegenseitige Wertschätzung für erbrachte Leistungen, ein Gefühl der Fairness und das authentische Gefühl, wirkungsvoller Teil einer Gemeinschaft und eines bedeutungsvollen Projektes zu sein. Eine klare, integrative und motivierende Kommunikation, die auf Authentizität und Transparenz beruht, spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Im Umgang miteinander bewähren sich noch weitere Handlungsmuster: das Prinzip “auf Augenhöhe”, ein transparentes Verhalten, Toleranz und Vertrauen, die großzügige Weitergabe von Wissen oder sog. gemeinstimmige Entscheidungsverfahren, die alle Betroffenen einbeziehen und in angemessener Zeit zur wirksamen Umsetzung führen. Solch ein gemeinsam gehaltener Rahmen ermöglicht eine wirkungsvolle und freudvolle Zusammenarbeit, zunehmende Identifikation und das Entstehen eines Gefühls der Mitverantwortung.

Solawis sind gelebte Commons

Commoning leitet sich vom englischen Wort Commons ab, was im Deutschen häufig unzureichend als Allmende oder Gemeingut übersetzt wird. Es geht nämlich um mehr als nur frei verfügbare Güter. Aktives Commoning sind Prozesse bewussten Gestaltens von Selbstorganisation, selbstbestimmtem Wirtschaftens und sozialen Beziehungen. Die Beteiligten entscheiden beim Commoning möglichst gemein-verantwortlich darüber, was sie brauchen und wie sie Ressourcen, Zeit und Räume bewirtschaften, gestalten und verteilen. Grundlage hierfür ist immer ein gelingendes, soziales Miteinander.

Kurze Geschichte des Commoning

Als Elinor Ostrom 2009 als erste Frau den Alfred-Nobel-Preis der Wirtschaftswissenschaften zuerkannt bekam, galt das als eine Art “Wiederentdeckung der Allmende”. Langjährige empirische Untersuchungen Ostroms haben gezeigt, unter welchen Bedingungen Gemeinschaften überall in der Welt “Ressourcen” gemeinschaftlich nutzen, verwalten und pflegen können. 

Darauf aufbauend haben die Wissenschaftler:innen Silke Helfrich und David Bollier die Forschungsergebnisse weiterentwickelt, und ihre Ergebnisse  in dem Buch „Frei, Fair und Lebendig“ ausführlich beschrieben und letztendlich eine Mustersprache des Commoning entwickelt.

Eine sehr sehenswerte Einführung zur Mustersprache des Commoning in Bezug auf Solidarische Landwirtschaft gab Silke Helfrich wenige Monate vor ihrem plötzlichen Tod im November ’21:
Vortrag zur Solidarischen Landwirtschaft und den Mustern des Commoning (YouTube-Link).

Screenshot: youtube

Die Muster des Commoning

Muster beschreiben stets einen Kontext, ein Problem und den Kern verschiedener Lösungsansätze und zeigen Beispiele aus der Praxis auf. Die Muster können beispielsweise zur interaktiven Gestaltung von Solawi-Workshops genutzt werden, wenn gemeinschaftlich reflektiert werden soll, welche Muster in der Solawi bereits wirksam sind, welche Muster weiterentwickelt oder erst noch eingeführt werden könnten.

Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten: source

Das Format der einzelnen Muster-Beschreibungen, ist im Folgenden kompakt, kurz und knackig gehalten und kann auf den Seiten des Wikis vertieft werden.
Commoning oder wie Transformation gelingt. Auftakt einer Mustersprache ist lizenziert unter Creative Commons. Es lohnt sich definitiv, das Kartenset „Muster des Commonings“ gedruckt zu bestellen. Die Beitragsempfehlung ist 10-20€ für Privatpersonen und 20-30€ für Institutionen je Kartenset. Die Beiträge werden vom Commons-Institut verwaltet.

Soziales Miteinander

Das soziale Miteinander ist das beherrschende Motiv aller Commons und findet sich in allen Feldern des Commoning, wie Zusammenarbeit, Beziehungsgestaltung oder Reflexion des Miteinanders, wieder.

Selbstorganisation durch Gleichrangige

Wenn Menschen sich bewusst selbst organisieren, können sie komplexe soziale Prozesse so strukturieren, dass sich niemand benachteiligt fühlt. Es kann eine Art »Gesetz zur Gleichberechtigung aller Beteiligten« entstehen.

Sorgendes & Selbstbestimmtes Wirtschaften

Commoning heißt auch, mit der Logik der Marktwirtschaft zu brechen und kapitalgetriebenes  und ressourcenausbeutendes Wirtschaften hinter sich zu lassen. Die Solidarische Landwirtschaft lässt sich mit  einem commons-gemäßem Herstellen und Verteilen dessen beschreiben, was wir zum Leben brauchen und wie wir z.B. mit Materialien, Ideen, tätigen Beiträgen, Geld und Infrastrukturen umgehen.